Ready for a real change?
Ready for a real change?

30 Jahre später – Begegnung mit einem früheren Ich

Dieses Jahr wurde mir bewusst: Es sind inzwischen 30 Jahre vergangen, seit wir als Kinder und Jugendliche gemeinsam die Schulbank gedrückt haben – insbesondere am FWG in Kronach. Schon dieser Gedanke führt direkt zum Thema Zeit – ein Thema, das ich jedoch in einem eigenen Artikel vertiefen möchte. Heute geht es um etwas anderes.

Unser Wiedersehen war in vielerlei Hinsicht faszinierend. Überraschend – und gleichzeitig schön – war, dass sich optisch kaum jemand drastisch verändert hatte. Der Moment des Einlaufens ins Kitsch war intensiv. Er fühlte sich an wie eine Zeitkollision: mein früheres Ich und mein heutiges Bewusstsein trafen aufeinander – in einem Zustand absoluter Gegenwärtigkeit.

Ich war vorbereitet. Ich hatte mich bewusst entschieden, so urteilsfrei und erwartungsfrei wie möglich an diesen Abend heranzugehen. Dieses Gefühl der Klarheit hielt – wie erwartet – nicht ewig. Es war wie ein kurzes Aufleuchten. Ein inneres Feuerwerk. Und ich bin sicher: Nicht nur ich habe diesen Moment so erlebt.

Als alle eingetroffen waren, die kurze Begrüßung vorbei war und das Buffet eröffnet wurde, passierte etwas beinahe Magisches – und gleichzeitig vollkommen Erwartbares: Die alten Gruppen formierten sich. Fast automatisch. Wie gespeicherte Muster, die sich in Millisekunden reaktivieren. Viele von uns schlüpften offensichtlich – bewusst oder unbewusst – zurück ins alte Nervenkostüm. Anders wären manche Reaktionen kaum erklärbar.

In diesem Moment wurde mir eines klar: Wir waren ein Raum voller erwachsener Menschen – und doch traf in uns die Projektion eines früheren Bildes aufeinander. Nicht auf das echte Gegenüber – sondern auf die Version, die wir vor 30 Jahren abgespeichert hatten. Ein Kind. Ein Jugendlicher. „Ungebackene Brötchen“, um es direkt auszudrücken. Damals wussten wir alle noch nicht einmal ansatzweise, wer wir sind – und viele von uns wissen es heute vermutlich noch immer nicht vollständig. Was vollkommen menschlich ist.

Genau deshalb ist es mir wichtig, keine Bewertungen zu treffen. Wir alle tragen Biografien, die der andere nicht kennt. Kein Mensch weiß, durch welche Täler, Brüche, Siege oder inneren Metamorphosen der andere gegangen ist.

Dieser Abend hat mich nicht nostalgisch gemacht – sondern präsent.

Der Moment des bewussten Gehens

Je länger der Abend dauerte, desto stiller wurde es in mir. Nicht aus Enttäuschung — sondern aus Erkenntnis. Es gab keinen inneren Auftrag, etwas zu beweisen, niemandem etwas zu geben oder abzuholen. Kein Bedürfnis nach Anerkennung. Kein Bedürfnis nach Rückbestätigung einer Vergangenheit, die längst verarbeitet ist.

Ich spürte: Mein Platz an diesem Abend war nicht im Mittelpunkt – sondern im Beobachten. Nicht im Erinnern – sondern im Erkennen. Das bestätigte mir etwas Wesentliches über meinen eigenen Weg.

Als ich später den letzten Schluck nahm – bewusst, nicht beiläufig – war es kein „Abschied aus Höflichkeit“. Es war ein stilles Ritual. Ein Zeichen des Respekts an den Jungen, der ich damals war. Einen Jungen, der alles gegeben hat, was er zu dieser Zeit geben konnte. Innerhalb der Möglichkeiten, die er damals kannte.

Ich setzte das Glas ab – und mit ihm ein Kapitel, das längst innerlich abgeschlossen, aber an diesem Abend noch einmal sichtbar geworden war.

Ich ging nicht als Letzter, weil ich nichts fand.
Ich ging als Letzter, weil ich alles gesehen hatte, was es zu sehen gab.
Und weil innerer Frieden kein Spektakel braucht.

Draußen war die Nacht kühl, klar.
Kein Echo im Kopf. Kein Ziehen im Herzen.
Nur ein tiefer, authentischer Satz in mir:

„Es ist gut.“

Nicht im Sinne von „Es war schön“ oder „Schade, dass es vorbei ist“.
Sondern in seiner reifen Form: „Es ist vollständig. Und ich bin es auch.“

Dies folgenden Linien fassen diese Erfahrungen und Erlebnisse nochmals schön zusammen:

Nachklang eines Abends – 30 Jahre später

Ich kam als der,
der ich geworden bin,
nicht als der,
den sie kannten.

Die Gesichter trugen die Zeit wie feine Linien,
doch die Muster darunter waren dieselben.
Lächeln, Gesten, vertraute Bewegungen –
Spuren eines alten Lebens,
das ich einmal mitgeschrieben habe.

Ich stand da, ruhig, offen,
ohne Rolle, ohne Bedürfnis, ohne Maskenspiel.
Ich sah, wie Gruppen sich fanden,
wie Erinnerungen sich suchten, und
wie wenig Platz blieb für das,
was jenseits der alten Geschichten liegt.

Ich war da. Ich sah. Ich blieb.
Ich trank den letzten Schluck,
nicht aus Durst, sondern aus Achtung.

Ein stilles „Danke“ an den Jungen,
der ich war, an all die Wege,
die ich gegangen bin, und an die,
die ich hinter mir lassen durfte.

Dann ging ich hinaus, nicht einsam, sondern vollständig.
Die Nacht war frisch, mein Herz still.
Etwas war zu Ende gegangen, und etwas anderes begann –
leise, klar, wahr.

Ich stellte das Glas ab.
Und mit ihm die Vergangenheit.

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